Jede echte Lumpenprinzessin braucht eine vertrautes Tier, Freund/-in und Muse in einem, das ihr Inspiration gibt und jede Menge Ratschläge, die niemand braucht.
Das kann ein Hund sein, ein Hamster, ein Fisch, ein Papagei oder sogar eine ganze Kolonie Ameisen in einem Schauglas.
Unsere Prinzessin hat eine Katze. Selbstverständlich keine gewöhnliche Samtpfote, sondern eine seltene Lumpenkatze und das ist gelegentlich nicht ganz einfach….
Erster Advent. Die Katze liegt wie gewöhnlich auf der Arbeit der Lumpenprinzessin und blinzelt verschlafen. Draußen fallen ein paar einsame Schneeflocken. Ein rauer Wind weht und reißt das letzte trockene Laub von den kahlen Bäumen. Dunkle Wolken ziehen am Himmel dahin. Es ist düster und kalt.
Die Lumpenprinzessin sieht von alle dem nichts. Sie sitzt an der Nähmaschine und rattert, was das Zeug hält.
Eine Weile schaut ihr die Katze dabei zu, dann wird ihr langweilig. „Bald ist Weihnachten!“ denkt sie. „Und ich bekomme mal wieder irgend einen Unsinn wie eine wärmende Recycling-Stoffhülle für den Futternapf, ein Mäntelchen für meine Winterspaziergänge, einen grässlichen Katzenhut oder Pfotenschoner…und wie jedes Jahr bedanke ich mich, in dem ich den ganzen Kram mit den Krallen zerfetze und meiner Prinzessin die Lumpen zur Wiederverarbeitung unter den Baum werfe….Sie sieht dann nicht gerade glücklich aus….Aber ich WILL, dass sie glücklich ist! Deshalb muss ich mir für dieses Jahr etwas anderes ausdenken! ….Und ich weiß auch schon WAS!“
Leise, wie nur Katzen es können, erhebt sie sich, springt vom Tisch und schleicht davon….Nach draußen, wo Wind, Kälte und die langsam hereinbrechende Dunkelheit warten. Schaudernd zögert sie einen Moment. Der Wind fährt fauchend durch ihren dichten Pelz. Kein Wetter für eine verwöhnte Lumpenkatze, aber sie hat einen Plan und so springt sie mutig durch die Tür, den Elementen entgegen.
„Hast du die Katze gesehen?“ fragt die Lumpenprinzessin ihren Gemahl, Prinz Charming.
„Hgggn“. Antwortet er und wendet die Augen für den Bruchteil einer Sekunde vom Bildschirm ab.
„Ich nehme an, das heißt „Nein“! Die Lumpenprinzessin seufzt und beginnt in allen Räumen nach ihrer Katze zu suchen.
„Sie ist nicht im Kleiderschrank, dort habe ich schon dreimal nachgesehen. Auch in keiner Kratztonne und nicht unter dem Bett. IM Bett auch nicht. Und nicht unter dem Tisch, auf keinem der Stühle unter der Tischdecke und auch nicht im Keller……So langsam gehen mir die Ideen aus! Ahnungsvoll sieht sie aus dem Fenster und nimmt zum ersten Mal den immer stärker werdenden Sturm draußen wahr.
„Ich hoffe, das verrückte Vieh ist nicht nach draußen gerannt!“
„Hgggn!“ knurrt Prinz Charming.
„Wir müssen sie suchen!“ ruft die Lumpenprinzessin und öffnet die Eingangstür. Eine Windböe weht Schneeflocken und Laub herein und mitten aus dem Chaos spring ihr die Katze entgegen. Aber sie ist nicht allein. In ihren Fängen trägt sie etwas. Und dieses Etwas ist mausetot.
Stolz legt sie ihre Beute zu Füßen der Prinzessin ab und grinst breit. „Hier!“ miaut sie. „Mein Advents-Geschenk! Zu Weihnachten gibt es noch viel mehr! Du kannst sie essen und danach aus den Pelzen ein schönes Kuschelkissen für mich nähen!“
„Eine Maus!“ Kreischt Prinz Charming und springt vom Stuhl auf. „Wie ekelhaft! Was machen wir jetzt nur ?“
Die Lumpenprinzessin greift nach der großen Feuerzange, die schon seit dreihundert Jahren neben dem großen Kamin im Schloss hängt und packt die Maus vorsichtig damit.
„Hier!“ sagt sie und hält die Zange Prinz Charming hin. „Geh auf den Söller hinaus und wirf sie in den Schlossgraben. Sollen sich andere um den Kadaver bemühen!“
„Igitt!“ Schreit Prinz Charming. „Halte das Ding wenigstens nicht auch noch in meine Richtung! Und desinfiziere SOFORT den Boden!“ Vorsichtig nimmt er die Zange, soweit wie möglich von sich gestreckt und geht eilig in Richtung Söller davon.
Die Lumpenkatze zuckt nervös mit den Ohren. „Vielleicht war die Maus ja nicht groß genug!“ denkt sie „Oder die Fellfarbe nicht passend zu ihrem neusten Projekt…oder vielleicht war die Maus einfach zu mager! Nächstes Mal fange ich ihr eine richtig fette!“
Mit sich im Reinen rollte die Katze sich zusammen und verschlief den Rest des Advents-Abends und die kommende Nacht.
Der zweite Advent kam und wieder schlich die Lumpenkatze heimlich hinaus und lauerte unter einem Strauch, bis eine unvorsichtige Maus durch den frisch gefallenen Schnee daher getrippelt kam. Dieses Mal war ihr Opfer fett und gutgenährt mit weichem Pelz in sanftem Braun. Zufrieden mit sich kehrte sie wieder ins Schloss zurück, sprang auf den Tisch und legte ihr Geschenk direkt vor den Adventskranz, auf dem jetzt zwei Lichter brannten.
„Hier! Diesmal hab ich eine besonders schöne gefangen!“
Prinz Charming schrie so laut, dass die hohen alten Fenster im Saal erzitterten und die Lumpenprinzessin nahm wortlos die Zange, packte die Maus und warf sie diesmal eigenhändig vom Söller. Dann stopfte sie das Tischtuch in die Wachmaschine und besprühte den Tisch mit Bio-Bakterienkiller, bis er nur so triefte.
„Hör auf, ständig Mäuse anzuschleppen!“
die Katze betrachtete sie nur ganz erstaunt und verzog sich beleidigt.
„Eine Prinzessin kann etwas Besonderes erwarten! Diese Maus war schon besser als die erste, aber noch lange nicht gut genug! Ich muss mich mehr anstrengen, dann kann ich die perfekte Maus erbeuten und meine Lumpenprinzessin ist endlich zufrieden! dachte sie bei sich, als sie im Kleiderschrank lag und überall ihre Haare auf den kostbaren antiken Fetzen der Prinzessin verteilte.
Der dritte Advent kam mild und sonnig und so verschwand die Katze gern nach draußen und strich durch die Büsche, die das Schloss umgaben, bis endlich, nach langer Wartezeit die perfekte Maus daher kam. Groß, mit seidigem Fell in der Farbe von Schiefer, fett und wohlgenährt….fast zu schön um sie nicht selbst zu fressen! Doch die Katze unterdrückte ihre Gier, sprang aus dem Schatten der Büsche und kurz darauf legte sie einen dritten leblosen Körper zu Füßen der Lumpenprinzessin ab und schnurrte vor Stolz und Wohlbehagen.
Prinz Charming war zum Glück zu Besuch bei seinem Vetter, dem Froschkönig und daher verschwand die Maus diesmal ohne sein Wissen im Schlossgraben und die Katze erhielt eine weitere Predigt: „Was sollen wir nur mit MÄUSEN anfangen? Kannst du nicht endlich mal etwas NÜTZLICHES mit ins Schloss bringen!“
Doch die Katze peitschte nur mit dem Schwanz und sagte nichts.
Der vierte Advent kam mit Regen so kalt wie Eis. Nur noch wenige Tage bis Weihnachten.
„Das ist bestimmt alles nur ein Missverständnis. Die Prinzessin weiß doch, wie schmackhaft so eine leckere Maus ist. Vielleicht hat sie nur kein Rezept, wie man Mäuse kocht….Das muss es sein! Denn wenn ich mich recht erinnere, habe ich sie noch nie Mäuse zubereiten sehen. wahrscheinlich schämt sie sich, das zuzugeben. Am besten, ich leihe mir von Vetter Grinsekatze das große Buch der Mäusebraten, dann ist das Problem beseitigt!“
An diesem Abend lagen neben dem brennenden Adventskranz nicht nur ein altes, abgegriffenes und mit Krallenspuren übersätes Buch, sondern auch eine Maus, so prächtig, dass jede Katze darüber in helle Verzückung geraten wäre.
Prinz Charming stand auf, packte die Decke und zog sie mit einem Ruck so schnell unter dem Adventskranz hervor, dass nicht einmal die vier darauf brennenden Kerzen flackerten. Dann warf er das Tischtuch samt Buch und Maus in den Schlossgraben und ging sich die Hände waschen. Die Lumpenprinzessin schüttelte nur den Kopf, seufzte und warf ihrer Katze einen tadelnden Blick zu.
Nun war die Katze ernsthaft gekränkt.
„Aber ich bin eine KATZE!“ miaute sie. „Es ist meine Aufgabe, Mäuse zu fangen!“
„Falsch! Du bist eine LUMPEN-KATZE! Deine Aufgabe besteht darin, mit gelangweiltem Gesicht und schläfrigen Augen ganz oben auf einem Stapel alter Stoffe zu liegen und mir in regelmäßigen Abständen gute Ratschläge zu erteilen, die ich ohnehin nicht befolgen werde. Ansonsten bist zu verpflichtet mich zu inspirieren, zu schnurren, bei Bedarf Nähte aufzutrennen und Stoff mit deinen Krallen zu zerschlitzen. Und ich finde, das genügt auch. Von Mäusen war niemals die Rede!“
„Soll das heißen, du weißt meine Mäuse nicht zu schätzen!“
„Ich finde sie widerwärtig!“
Da begann die Katze lauthals zu jammern.
„Oh ich arme, arme Katze! All die Mühe und ganz vergebens! Ich bin die beste Jägerin im ganzen Märchenland und ausgerechnet ICH gerate an eine so unwürdige Prinzessin, die statt Lob nur Tadel für mich hat!“
Sie strich um die Beine der Prinzessin, noch immer miauend und klagend, wobei sie aus schrägen Augen listig zu ihr emporblinzelte.
„Gut!“ Rief die Prinzessin entnervt. „Ich gebe auf! Was kann ich tun, damit du aufhörst Katzentheater zu machen?“
Sofort verstummte das Geschrei.
„Erstens will ich, dass du mich als große Jägerin anerkennst! Zweitens wirst du zur Strafe einen besonderen Hut zu meinen Ehren machen!“
„Einen Hut? Für dich?“
„Nein!“ miaute die Lumpenkatze. „DU sollst den Hut tragen und SO soll er aussehen!“ Damit sprang sie auf die Schulter der Prinzessin und flüsterte ihr ins Ohr.
„Das wäre ein ziemlich lächerlicher Hut!“ sagte die Lumpenprinzessin.
„Fast alle deiner Hüte sind mehr oder weniger lächerlich!“ konterte die Katze.
„Touché! Dann mache ich also diesen Hut…Sonst noch irgendwelche Bedingungen?“
die Katze grinste hinterhältig. „Drittens wirst du mit diesem Hut auf dem Kopf in die Stadt gehen und dort den weisen alten Zauberer besuchen!“
„Kommt gar nicht in Frage! Der Zauberer ist nicht nur ein guter Freund, sondern auch noch ein Mann von Kultur und Geschmack. Außerdem der Einzige, der sich nicht an meinen Lumpen stört. Wenn er mich aber mit DIESEM Hut sieht, streicht er mich glatt von der Liste seiner Gäste für das große Silvesterfest!“
„Strafe muss sein! Wenn du es nicht tust, dann miaue ich Tag und Nacht solange, bis dir die Ohren abfallen!“
Da fügte sich die Lumpenprinzessin in ihr Schicksal, denn es gibt fast nichts Schlimmeres als eine laut kreischende Katze.
Am Tag vor Weihnachten war der Hut endlich fertig und die Katze nickte zufrieden, als die Lumpenprinzessin schweren Herzens mit dem Monstrum auf dem Kopf in die Stadt aufbrach.
Schon auf dem Weg dorthin erntete sie allerlei Gelächter und die meisten Bewohner des Märchenlandes hielten das Ganze für eine neue Werbe-Kampagne des gestiefelten Katers. In der Stadt angekommen ging sie, wie sie es versprochen hatte, direkt zum Haus des alten Zauberers und seiner gütigen Frau.
„Oh!“ rief die Frau des Zauberers, als sie den Hut der Prinzessin sah. „Was für ein interessanter Hut! Ist der neu?“
„Brandneu. Er ist zu Ehren der Lumpenkatze, der größten Mausjägerin des ganzen Märchenlandes!“
„Und sieh nur die niedlichen kleinen Mäuse darauf! Wie viele sind es denn?“
„Vier.“ sagte die Prinzessin. „Für jedes Adventsmaus-Geschenk eine!“
Der alte Zauberer trat ins Zimmer, sah den Hut und den verzückten Ausdruck auf dem Gesicht seiner Gattin und erbleichte.
Rasch zog er sein Weib von dem Wunderwerk weg, denn wenn er eines nicht mochte, so waren es Hüte.
„Vier Mäuse!“ sagte er. „Das ist fürwahr genug!“ und rasch wechselte er das Thema. Insgeheim aber nahm er sich vor, ein ernstes Wort mit Prinz Charming über die Eskapaden seiner Gattin zu sprechen und beide von der Gästeliste für das große Silvesterfest zu streichen.
Die Lumpenkatze lag mittlerweile zufrieden zusammengerollt auf einem seidenen Recyclingkissen ganz oben auf dem höchsten Stoffstapel im Nähkerker der Prinzessin und dachte nach.
„Mäuse….schäbige, magere kleine Dinger! Sie sind wohl eine zu geringe Gabe für eine Prinzessin….Wie dumm war ich Katze! Aber ich mache es wieder gut! An Weihnachten, zum großen Ball im Festsaal des Schlosses werde ich ihr vor allen Gästen das Beste überreichen, das Begehrenswerteste überhaupt: Eine riesige, fette RATTE! Ja, das ist es! EINE RATTE ZU WEIHNACHTEN!“
Und zufrieden mit sich selbst schlief sie ein.