Das Einzige, was man in einem so „froschigen“ Kleid wie diesem tun kann, ist in den nächsten Teich zu springen….Oder eine Geschichte zu schreiben!
Spring in den Teich!
Eine Geschichte mit der Lumpenprinzessin
An einem warmen Sommertag, vor nicht allzu langer Zeit, ging die Lumpenprinzessin mit ihrer Freundin, der wunderschönen Prinzessin auf der Erbse im Märchenwald spazieren. Nachdem sie eine Weile gegangen waren, kamen sie an einen steinernen Brunnen.
„Oh! Was für ein romantischer Teich!“ Rief die Prinzessin auf der Erbse (Sie war nicht unbedingt die Klügste).
„Also…EIGENTLICH ist das ein Brunnen!“ sagte die Lumpenprinzessin.
„Ach, wer schert sich schon um solch unwichtige Details! Teich, Brunnen…Wo ist da ein großer Unterschied!“ antwortete die Prinzessin auf der Erbse, ging näher an den Brunnen heran und beugte sich darüber, um hineinzusehen.
„Das Wasser steht aber hoch in diesem Teich! Ich kann mein Spiegelbild darin sehen!“ Sie hüpfte auf und ab vor dem Brunnenrand und bewunderte sich selbst, bis sie plötzlich laut aufschrie: „MEINE ERBSE! MEINE ERBSE! Sie ist in den Teich gefallen!“
Die Lumpenprinzessin zuckte die Achseln. „Na und! Dann gehst du eben nach Hause und holst dir in der Schlossküche eine neue aus dem Gefrierschrank!“
„Aber du verstehst nicht! Das war meine GOLDENE Erbse!“
„Wovon sprichst du? Ich verstehe kein Wort!“
„Ich spreche von der goldenen Erbse, die ich beim Wettbewerb für die empfindlichste Prinzessin im ganzen Märchenland gewonnen habe!“
Die Lumpenprinzessin stöhnte nur leise. Für was man heutzutage alles Preise gewinnen konnte!
Boshaft meinte sie: „Wenn du deine kostbare Erbse zurückhaben möchtest, dann bleibt dir jetzt nur eins übrig: Du musst in den Brunnen springen, untertauchen und solange auf dem Grund suchen, bis du sie gefunden hast!“
„In den TEICH springen? In dieses trübe, schmutzige Wasser? In diese FINSTERE UNTIEFE hinuntertauchen? In meinem BESTEN Kleid? Und was weiß ich, wieviel Dreck und Keime da unten lauern oder Monster und andere ekelhafte Tiere wie FRÖSCHE? Du hast wohl vergessen, WER ich bin?“
Die Lumpenprinzessin hatte das keineswegs vergessen und freute sich heimlich am Anblick der bleichen und von Angstschaudern geschüttelten Prinzessin ohne Erbse.
„Frösche leben im Allgemeinen eher in Teichen. Und DAS HIER ist ein BRUNNEN!“ sagte sie.
Aber kaum hatte sie ausgesprochen, da platschte es im Wasser und auf dem Brunnenrand landete ein großer, dicker Frosch, der sie aus goldenen Augen wütend anstarrte.
„Was macht ihr Weiber solchen Lärm? Kann man als Frosch nicht mal FÜNF MINUTEN seine Ruhe haben! Ich war gerade dabei, ein neues Froschkonzert zu komponieren! Also hört gefälligst auf mit diesem infernalischen Krach!“
„Was hab ich dir gesagt? Es ist ein Teich! Und da ist er schon, der eklige FROSCH!“ kreischte die Prinzessin ohne Erbse und sah die Lumpenprinzessin vorwurfsvoll an.
„Was heißt hier „eklig“? Quakte der Frosch. „Muss ich mich hier von unappetitlichen, bleichen Menschenweibern beleidigen lassen, zumal die eine davon Lumpen anhat und die andere nur hysterisch kreischt?“
„Pass auf, was du sagst! Wir sind PRINZESSINNEN!“ Schrie die Prinzessin ohne Erbse.
Der Frosch lachte so, dass er fast vom Brunnenrand fiel.
„Prinzessinnen! Und ich bin die goldene Kröte des Glücks!?“ höhnte der Frosch, sobald er wieder zu Atem gekommen war.
Die Prinzessin ohne Erbse öffnete den Mund zu neuem Gekreisch, aber bevor sie noch den ersten Ton von sich geben konnte, griff die Lumpenprinzessin ein.
„Wir sind nur zwei Frauen in Not und brauchen dringend die Hilfe eines tapferen Froschs!“ warf sie schnell ein.
Der Frosch zwinkerte mit den Augen, legte den Kopf schief und sah sie misstrauisch an.
„Wozu sollten zwei PRINZESSINNEN einen einfachen Frosch wie mich brauchen? Habt ihr kein Personal?“
„Wir sind leider MODERNE Prinzessinnen…“ seufzte die Lumpenprinzessin. „Und vollkommen hilflos in dieser Situation. Nur du kannst uns helfen. Du gütiger, edler Frosch!“ Jetzt sah der Frosch doch etwas geschmeichelt aus und seine Stimme klang schon viel freundlicher.
„Um was geht es denn?“ fragte er.
„Meine goldene Erbse ist in den Teich gefallen!“ Rief die Prinzessin ohne Erbse. „Und jetzt brauchen wir jemanden, der in diese widerlich dreckige Brühe hinuntertaucht und sie wieder herausfischt!“ Tränen standen in ihren wunderschönen Augen.
Aber Fröschen sind weibliche Tränen im Allgemeinen vollkommen gleichgültig. Und sie mögen es auch nicht, wenn man ihr Heim beleidigt. Er ignorierte das Geheule, überlegte kurz und schüttelte dann den dicken Kopf.
„Näh. Seht zu, wie ihr eure Erbse selbst vom Grund holt. Nur weil ich ein Frosch bin und ihr zwei reichlich dämliche PRINZESSINNEN, heißt das noch lang nicht, dass ich für euch arrogante Weiber den Lakaien spiele! Außerdem finde ich es etwas albern, mit einer goldenen Erbse herumzulaufen!“
Sprach´s und sprang zurück in den Brunnen, dass das Wasser nur so platschte.
„Aber….Aber wir BELOHNEN dich auch dafür! Schrie ihm die Prinzessin ohne Erbse hinterher.
„Danke Bestens!“ kam die dumpfe Antwort aus der Tiefe. „Aber ich habe alles, was ein Frosch so braucht!“
Die Prinzessin ohne Erbse stand einen Moment still und starr, dann begann sie lauthals zu jammern und zu weinen. Es war, als hätte man eine Sirene an einen Wasserwerfer gekoppelt. Die Lumpenprinzessin schüttelte nur den Kopf, ohrfeigte ihre Freundin, damit dieses wenigstens für ein paar Minuten Ruhe gab, half ihr dann fürsorglich dabei, sich auf den nächsten halbwegs bequemen Stein zu setzen und dachte nach.
„Ich bin vielleicht keine Schönheit und in Lumpen gekleidet“ sagte sie mit einem Seitenblick auf die noch immer leise vor sich hin schluchzende Prinzessin ohne Erbse. „Aber dafür bin ich nicht komplett verblödet und vielleicht habe ich schon eine Idee, wie man den Frosch doch noch umstimmen kann!“
Sie schlich sich zum Brunnen, stellte sich so auf, dass ihre Worte gut gehört werden konnten und sagte: „Wie verdrießlich, dass der Herr Frosch so unkooperativ ist! Jetzt wird uns nichts anderes übrigbleiben, als die Behörden zu verständigen!“
„D….Die….Behörden?“ schluchzte die Prinzessin ohne Erbse. „Wa…was für Be..hörden?“
„Nun, zum Beispiel das Amt für öffentliche Zauberbrunnenverwaltung! Was glaubst du, werden sie machen, wenn bekannt wird, wie GEFÄHRLICH dieser Brunnen hier ist!“
Die Wasseroberfläche zitterte ein wenig.
„Wie-hi-so- ge-fährlich…?“ schluchzte die Prinzessin ohne Erbse.
„Nun stell dir doch mal vor, was alles an einem ungesicherten Brunnen wie diesem passieren kann!“
Blasen stiegen aus der Tiefe auf und die Wasseroberfläche wurde unruhiger.
„All die Touristen aus dem Menschenland, die im Sommer herdenweise durch den Wald laufen und irgendwann erschöpft und durstig hier am Brunnen ankommen! Denk an all die Digicams, Sonnenbrillen, Smartphones, Laptops und KLEINKINDER, die in den Brunnen fallen!“
Zwei große Froschaugen lugten verstohlen über die Wasseroberfläche.
„Natürlich könnte man den Brunnen SICHERN. Ordentlich vergittern. Aber das kostet Geld und das Märchenland ist chronisch pleite. Außerdem würden der Oger, der sprechende Eber und der Nöck das Gitter ohnehin dauern wieder abreißen, du weißt ja, wie die drei sich aufführen!“
Zu den Augen gesellten sich jetzt zwei lange Froschbeine, die unruhig im Wasser zappelten.
„Also bleibt ihnen am Ende gar nichts anderes übrig, als die Mauer abzureißen und den Brunnen zuzuschütten .Dann bleibt die goldene Erbse bis ans Ende aller Tage dort unten in der Tiefe!“
Die Prinzessin ohne Erbse rang jammernd die Hände. Im Brunnen plätscherte es lauter.
„Was natürlich dann mit dem Herrn Frosch wird….nun….“ Die Lumpenprinzessin zuckte die Achseln. „Der Herr Frosch wird wohl eine Weile in einem Kerker schmoren, wegen illegaler Wohnsitznahme in einem die Öffentlichkeit gefährdenden Brunnen und nach seiner Kerkerzeit zwangsausgewiesen. Und ob er dann noch mal einen ähnlich gemütlichen Tümpel findet, in dem er in Ruhe komponieren kann und nicht ständig von anderen Fröschen genervt wird, DAS weiß nur die gute Fee!“
Sie hatte kaum ausgesprochen, da flog etwas Glitzerndes in hohem Bogen über den Brunnenrand und landete direkt vor den Füßen der Prinzessin ohne Erbse.
„Meine Erbse!“ Rief sie und hörte sofort auf zu Schluchzen. „MEINE GOLDENE ERBSE!“ Rasch griff sie nach unten und hob das Kleinod auf.
Sie tanzte und schwenkte die im Licht glitzernde Erbse vor Freude herum und beachtete ihre Umgebung gar nicht mehr.
„Das war Erpressung!“ quakte der Frosch. „Und was ist mit dem Kerker?“
„Kein Kerker!“ sagte die Lumpenprinzessin. „Warum sollten wir einen so hilfreichen Frosch aus seinem geliebten Brunnen vertreiben?“
Dem Frosch fiel hörbar ein Stein (oder war es eine Erbse?) vom Herzen. Er nickte der Lumpenprinzessin zu und tauchte wieder hinab in seinen privaten Konzertsaal, wo er sich erleichtert den beruhigenden Freuden seines Froschkonzerts hingab.
Die Lumpenprinzessin seufzte, packte die Prinzessin mit wiedergewonnener Erbse hinten am Kleid, damit sie aufhörte, sinnlos herumzutanzen und schob sie auf den Pfad in Richtung Heimatschloss.
„Steck das Ding weg, sonst werfe ich dich in den Brunnen zum Frosch! Ich kann keine Erbsen mehr sehen! Sagte sie.
Ihre Freundin machte einen Schmollmund, gehorchte aber. Dann kam ihr ein Gedanke: „ Im Märchen wird der Retter am Ende IMMER belohnt! Auch wenn es diesmal eine RETTERIN war….Das heißt, du hast nach allen Regeln des Märchenlandes jetzt einen Wunsch frei…. Also, was ist dein Begehr?“
Die Lumpenprinzessin blieb stehen. „Also….wenn du mich schon so direkt fragst….Du hast doch neulich, wie jeden Monat deinen 48-Meter-Kleiderschrank ausgemistet und dabei ein paar alte, einmal getragene Ballkleider entsorgt…“
„Stimmt. Die soll morgen die Müllabfuhr mitnehmen!“
„Gut. Dann wünsche ich mir folgendes: Die Müllabfuhr geht leer aus und ich bekomme die ganzen Ballkleider. Bin gerade knapp an Material für meine neue Lumpen-Kollektion!“
Die Prinzessin auf der Erbse schluckte schwer, erbleichte ein wenig, als sie an die schaurigen Gewänder dachte, die ihre Freundin aus den Ballkleidern zaubern würde, nickte aber tapfer.
Und so kam es, dass die Lumpenprinzessin schon am gleichen Abend säckeweise Material in ihre geheime Werkstatt im Kerker von Prinz Charmings Schloss schleppte, was diesem beinahe zum Infarkt trieb.
Die Prinzessin auf der Erbse aber hielt sich von nun an von Gewässern jeglicher Art fern.
Und der Frosch? Der wurde später unter dem Pseudonym „Quakhoven“ weltberühmt für seine Froschsymphonie in E-Dur. Und wenn er nicht gestorben ist, dann komponiert er noch heute!